3.Januar 1521: 500 Jahre Exkommunizierung Luthers

Als die süddeutsche Stadt, in der ich lebe, 1530 offiziell protestantisch wurde, konnte die Verwaltung meine im Zentrum liegende Kirche nicht beschlagnahmen, weil sie dem mächtigen Orden der Johanniter gehörte. Dafür aber wurde ihr Tor mit Ketten und Todesdrohungen von den Lutheranern gesperrt, damit die paar übriggebliebenen Katholiken nicht mehr dort die Eucharestie feiern und Maria verehren konnten. Sie wagten sich trotzdem immer wieder - wie in der Zeit der Katakomben - durch das sogenannte „Schleichtor“... Ich kann sie bildlich vor mir sehen, wie sie mit der Angst im Nacken an den Bänken meiner Kirche voll Liebe zu Maria und mit Sehnsucht nach der Eucharestie beteten.

Warum taten sie das, anstatt sich wie die meisten, an das Neue anzupassen? Womöglich, weil sie nach der Doktrin Luthers nicht mehr das hätten tun dürfen, was sie am meisten mochten: zu Jesus und Maria konstruktiv beten.

Nach Luther ist nämlich der Christ nur ein passiver Nutzer des Opfers Christi: Jesus fällt in den Hintergrund und allein die Taufe kann vor Gott den Glauben und somit die Entlastung (Rechtfertigung) garantieren. Außer der Taufe gibt es nichts, was dem Gläubigen helfen kann, um sich näher an Gott zu bringen, zu fühlen: Keine Opfer, keine guten Werke, sowie auch kein Beten und Beichten, die hingegen im Katholizismus die eklatantesten Augenblicke des aktiven Nutzens des Glaubens, d.h. des Opfers Jesu, sind. Und darauf konnten offensichtlich die wahren Katholiken unmöglich verzichten. Und das ist mehr als verständlich, denn die Vorstellung Luthers hält den Christ in seiner eigenen Taufe gefangen; nimmt ihm unwiderruflich das Überwältigende, das Spannende, das Erstaunliche der Beziehung zu Gott weg, und lässt ihm nicht einmal den Versuch zu, hoch bis zu Gott zu steigen oder sich ohne Ihn in den höllischen Abgrund fallen zu lassen.

Wenn ich in meiner Kirche bete, bin ich mir stets bewusst, dass dort jemand für den katholischen Glauben das Leben riskiert, wenn nicht sogar verloren hat. Und immer surrealer erscheint es mir, dass die Ablässe der Ursprung dafür und für die Spaltung der Kirche seitens Luther in Deutschland gewesen sein können. Zumal er nach der Exkommunizierung am 3. Januar 1521 nicht nur den christlichen Glauben, sondern auch sein eigenes Leben regelrecht auf den Kopf stellte. Und das konnte er unmöglich erst ab Ende 1517 geplant und organisiert haben, als er angeblich noch als überzeugter Katholik gegen den Vatikan kämpfte... 

 

Der 'andere' Luther

Bis zu seiner Exkommunizierung am 3. Januar 1521 sind es drei Daten, die im Luthers Leben besonders auffallen: 1505, 1512 und 1520. Sie sind nämlich die Zeiten, in denen er sein Leben drastisch umkrempelte aber auch die, worüber man am wenigsten weiß: Luther schrieb zwar sehr viel, er war aber selber kein offenes Buch. Er ließ nämlich nie jemanden an sich heran: nicht den Vater, nicht die Mönchbrüder, nicht den Freund Malanchton.

In einer nicht gerade reichen Familie geboren, hatte Martin LUDER das Glück, dass ihm sein Vater Hans Luder trotzdem das teuere Jurastudium finanzierte. Als Dank dafür unterbrach er im Juli 1505 plötzlich – und ohne dem verzweifelten Vater auch nur eine plausible Erklärung abzugeben – das Studium, um innerhalb von zwei Wochen ins Augustiner Kloster zu ziehen. Das gab schon damals den Gerüchten Gestalt, wonach er jene plötzliche Entscheidung nur traf, weil er in einem Duell mit Tötung verwickelt war. Und das würde heißen, dass er die Zelle eines Klosters der Zelle eines Gefängnisses vorzog. Dass er das drei Jahrzehnte später bestätigte, ist nur insoweit von Bedeutung, weil es dadurch geklärt wird, dass für ihn der Eintritt in das Kirchenleben tatsächlich wie eine Eheschließung ohne Liebe war. Folglich musste auch bei ihm im verflixten siebten Jahr eine Krise fällig gewesen sein. Und tatsächlich ergab sich Ende 1512 eine stille aber dafür nicht weniger entscheidende Krise. Da es damals noch keinen Streit für die Ablässe oder aus anderen Gründen mit der Kirche gab, muss die Krise von einem bestimmten Vorkommnis hervorgerufen worden sein, das ausschließlich für Luther von Bedeutung war.

Das einzige Auffallende dabei ist, dass er unmittelbar davor, Ende 1511, in Rom war. Es ist insoweit denkbar, dass er aus erster Hand erfuhr, dass schon im April 1512 das V. Lateran Konzil anfangen sollte, das in seinem Programm die Reform der Kirche und darunter auch eine größere Freiheit für die Geweihten und sogar die Abschaffung des Zölibats vorsah!

Für jemanden wie Luther, der offensichtlich seit sieben Jahren nicht aus Berufung, sondern aus Not im Kloster lebte, muss das als eine „Manna”, als eine unerwartete Chance erschienen sein, seinem Leben die erwünschte Wende zu geben. Vorfreude und Hoffnung waren aber von kurzer Dauer, denn es war bald klar, dass der Papst nicht für ein Konzil geeignet war, sodass es langsam und mühsam fortgesetzt wurde. Wenn Luther Wind davon bekam, dann verstand er, dass er alt geworden wäre, hätte er auf die Befreiung durch das Konzil gewartet. Daher entstanden sowohl sein Hass auf das Papstum als auch die Krise ab Dezember 1512 anstatt ab März 1517, als das Konzil tatsächlich offiziell und erfolglos zu Ende ging. Das, was er selber 1532 „Krise“nannte, dauerte bis etwa 1514 an und war womöglich eher die verzweifelte Suche nach einer Möglichkeit, sich aus dem Schlamassel herauszuholen, in das er sich selber 1505 gebracht hatte.

Er war ein junger, gesunder Mann, der nie die vocatio hatte, und nun – mit 28 Jahren – sein Leben genießen wollte. Beweis dafür ist, dass er schon vier Jahre nach der Exkommunikation (1521 ) eine kinderreiche Familie gründete. Trotzdem erklärt das nicht den krassen Sprung von den Ablässen zur Spaltung und warum Luther nicht einfach aus dem Klosterleben trat, wenn er sich ein anderes Leben wünschte: deswegen hätte ihn die Kirche nie verdammt. Allerdings ist offensichtlich, dass er außerhalb der Kirche ohne vollendetes Jura-Studium und ohne Schutz der Kirche nicht nur keine Chance auf ein ordentliches Leben hatte, sondern sogar in der Gosse zu landen riskierte. Ohne Kirche war er nun mal ein ehrenwerter Niemand, darum musste er auch außerhalb von ihr seine religiöse Autorität bewahren. Und das konnte er nur durch die Gründung einer eigenen Doktrin erreichen.

Die Monate der Krise müssen für Luther die Zeit der Suche nach einem Weg gewesen sein, der ihn zu dem Aufbau einer neuen Doktrin berechtigte, wodurch er die religiöse Autorität bewahren und trotzdem so leben konnte, wie es als katholischer Geweihter nicht erlaubt war. Um sie durchzusetzen, musste er allerdings die Aufmerksamkeit der Mächtigen auf sich lenken und deren Gunst gewinnen; und vor allem musste die Kirche so weit gebracht werden, dass sie ihn hinaus warf, damit er das Mitleid und den Schutz jener Mächtigen erhalten konnte. Diesen Weg musste er nun mal nehmen, weil er keinen anderen kannte: Bis dahin hatte er immerhin auf Kosten des Vaters und der damals sehr mächtigen Kirche gelebt und studiert. Jetzt waren die Adligen dran...

 

Luthers Doktrin

Luthers Doktrin sollte also von Anfang an für seine Bedürfnisse und nicht für die Verbesserung des christlichen Glaubens entstehen, die – wie er bestimmt wusste – von der katholischen Lehre gut genug aufbewahrt wurde.

Beweis dafür ist, dass er aus der Krise kam, indem er ausgerechnet den Fehler der Korinther übernahm, die als erste Christen des 1. Jhs n.Chr. den Satz des heiligen Paulus - „Rechtfertigung durch den Glauben allein und nicht durch das Gesetz“- total missverstanden hatten. Sie dachten nämlich, dass die Thora – das Moralgesetz der Juden – nicht mehr galt, weil sie dank des Opfers Jesu überflüssig war, und den Christen dadurch alles – selbst ein freizügiges Leben - erlaubt und verziehen wurde. Allerdings hatten sie sofort damit aufgehört, als Paulus mit dem Brief an die Korinther erklärte, dass für den guten Christ die Thora nicht überflüssig, sondern nicht mehr notwendig war, weil man nun Jesus als Weg und Vorbild hatte. Benedikt XVI wird 2008 dazu sagen: Nach der Auferstehung genügte es, dass man „nach Jesus schaute, sich an Jesus hielt, sich an Christus und seinem Leben anpasste“ (Benedikt XVI, Generalaudienz vom 19./11./2008).

Luther, der das als Theologe wissen musste, ignorierte gezielt den Brief an die Korinther, schnitt willkürlich den Teil des Satzes des hlg. Paulus über das „Gesetz“ ab, und machte aus dem ersten Teil -„Rechtfertigung durch den Glauben allein“ - ohne nicht einmal auf die verhängnisvollen Folgen, die man von den Korinthern kannte, zu achten - die Grundlage seiner Doktrin.

Für die Durchsetzung einer solchen Manipulierung konnte er sowohl auf den Analphabetismus des deutschen Volkes zählen, das seit Jahrhunderten in Leibeigenschaft lebte; als sich auch auf die Feindschaft der Mächtigen - Adligen und Bürgerschaft - gegenüber dem Papst und dem Kaiser verlassen. Als das Volk Jahre später - als seine Doktrin bereits etabliert war – empört auf die „...Mundart der neuen Prediger und deren zweifelhaften Ethik“ und auch darüber, dass "Die Dekadenz der Nächstenliebe, des religiösen Lebens, der guten Sitten verschlimmerte sich jeden Tag...“ reagierte, (R.Coggi in 'Ripensando Lutero' Aus: Sette Religioni 2/2004, Ed. Studio Domenicano), war die Reaktion Luthers nicht die erhoffte: Er nahm die Mächtigen, die ihm zur Seite standen, in Schutz und machte sie auch privat noch mächtiger:

      1. Er stellte sich gegen die Bauern, die um 1525 den Bauernkrieg aus ökonomischen und auch aus religiösen Gründen führten, und somit die Interessen der Beschützer Luthers gefährdeten;

      2. er ließ zu, dass die Eltern über die Eheschließung der Kinder entschieden, wenn es um gesellschaftliche Gründe oder um die Erbschaft ging, wobei die katholische Kirche die Selbstentscheidung der Verlobten ausnahmslos anerkannte;

      3. er führte die Scheidung mit der merkwürdigen Begründung ein, dass: “...Unser Herrgott ist der größte Ehebrecher, derselbige füget zusammen und scheidet auch wieder von einander... Ach, es muss wehe tun, wenn Eheleute, die sich so liebhaben, so geschieden werden.“. Aber er ging noch weiter: „Wenn die Frau ihrer Pflicht nicht nachgeht, muss die Weltmacht sie zwingen können oder mit dem Tod bestrafen“;

      4. er lobte den Organisator der Entführung – mit folgender Vergewaltigung - von Nonnen, die in der Nacht zum Karsamstag 1523 stattgefunden hatte. Er fand, dass "er diese armen Seelen aus der Gefangenschaft befreit hatte" und nannte ihn sogar einen "glücklichen Dieb"! Es war ihm offensichtlich gleichgültig, dass viele Nonnen wegen der darauf folgenden Zerstörungen der Klöster ohne ein Zuhause blieben: oft waren sie selbst bei ihren armen Familien unwillkommen;

      5. er erlaubte 1539 die Heirat von Philipp von Hessen mit seiner Konkubine, obwohl die Ehefrau noch lebte und sieben Kinder mit ihm hatte.

All das widersprach offensichtlich dem Leben nach Jesus' Lehre und Vorbild. Darüber äußerte sich fünfhundert Jahre später unmissverständlich der Prediger der 'Casa Pontificia', und der am 28.11.2020 zu Kardinal gewordene Pater Cantalamessa: „Die Rechtfertigung durch den Glauben allein und nicht durch das Gesetz ist weder eine Erfindung vom heiligen Paulus noch von Luther. Daher sollte sich keiner anmaßen, etwas daran zu ändern, darüber zu spekulieren oder sogar Gewalt anzuwenden“ (Predigt der Fastenzeit, 2017). 

 

Maria

In dieser von Luther verdrehten Welt kann man unmöglich einen würdigen Platz für die Mutter Gottes finden. Selbst die Verse, die er 1521 veröffentlichte, bekommen eine unangenehme Bedeutung:

    O du selige Jungfrau und Mutter Gottes, wie bist du so gar nichts und gering geachtet gewesen, und Gott hat dich dennoch so überaus gnädig und reichlich angesehen und große Dinge an dir gewirkt. Du bist ja deren keines wert gewesen. Und weit und hoch über all dein Verdienst hinaus ist die reiche, überschwängliche Gnade Gottes in dir. O wohl dir, selig bist du von der Stund an bis in Ewigkeit, die du einen solchen Gott gefunden hast!“ (Luther)

Wenn man nämlich genau hinschaut, erkennt man, dass Luther mit jenen „gar nichts und gering“, „keines Wert“, „über all dein Verdienst hinaus“ die Geschehnisse so darstellt, als ob Maria dabei nichts zu melden gehabt hätte: weder Demut, noch Treue, noch Ausdauer, noch Vertrauen in Gott. Gar Nichts, weil sie eben nichts war! Verglichen mit dem Ave Maria, d.h. dem Gruß von Elisabeth, sieht dies von Luther eher wie eine raffinierte Verdrehung der Tatsachen aus. Man kann sogar der Auffassung sein, dass Luther jene fragwürdigen Verse exakt zu jenem Zeitpunkt, d.h. unmittelbar nach seiner Exkommunizierung, veröffentlichte, um den Katholiken in dem Glauben zu lassen, dass er weiterhin ein Verehrer der Jungfrau Maria, d.h. katholisch war.

In Wirklichkeit lässt vieles denken, dass er Sie brauchte, um die Gemüter der vielen Katholiken zu beruhigen, die seine Absichten durchschaut hatten, ihn als „Luder“ anschrien und die Verbreitung und Etablierung seiner Doktrin mit all ihrer Kraftver hinderten; gleichzeitig aber musste er Sie abschaffen, denn Sie stellte die Frau dar, die Vorbild für Jungfräulichkeit und Keuschheit, d.h. für Werte war, die in der Gesellschaft, die er aufbauen wollte, nichts mehr zu suchen hatten: Die Frauen – wonach er sich viel zu lange gesehnt hatte und wovor er sich womöglich auch fürchtete - waren nämlich in dem Schachspiel seines Lebens die Bauernopfer: als Dank für ihre Unterstützung gab er den Mächtigen die totale Kontrolle über sie.

Dies war mit Maria nicht möglich. Darum versuchte er, Sie herabzuwürdigen, indem er 1529 meinte wie Sie, ohne etwas getan zu haben, von Gott geachtet worden zu sein: "Ich habe nur gelehrt, gepredigt und das Wort Gottes niedergeschrieben; ich habe nichts anderes getan... Und während ich schlief, nahm das Wort dem Papsttum alle Macht, da es bei Fürsten oder Führern nie Erfolg hatte. Ich habe nichts getan, das Wort hat alles getan".

Davon abgesehen, dass nicht klar ist, ob es von Luthers Gott soviel Aktionismus zu erwarten ist, muss man sich auch noch fragen, ob der schlimmste Feind Luthers nicht Luther selbst war. Im Grunde ist er das perfekte Beispiel für das, was der große Theologe Ratzinger mit einfachen Worten vier Jahrhunderte später sagen wird: "Wie oft würden wir uns wünschen, dass Gott sich stärker zeigen würde. Dass er hart zuschlagen, das Böse zerstören und eine bessere Welt schaffen würde...".

Es sieht in der Tat so aus, als ob Luther einen großen Bedarf auf Revanche gehabt hätte, was nicht gerade für große Reife spricht:

  • er musste von Gott mindestens genau so sehr geachtet werden wie Maria, denn er konnte nicht ertragen, dass Sie mit einem größeren Wert in die Geschichte einging als er;

  • er musste die Päpste erniedrigen, obwohl er wusste, dass sie keine Schuld für sein Schicksal trugen.

     

Zur Exkommunizierung

Da niemand die wahren Beweggründe Luthers kannte und auch nicht ahnte, reagierte die Kirche langsamer als von ihm erwartet. Sie hoffte bestimmt, dass er in einer religiösen Krise steckte, die sich mit der Zeit sanieren ließ. Immerhin hatte sich Luther stets als Verehrer Mariens gezeigt, sich nie gegen die Sakramente ausgesprochen und bis zuletzt seine Tätigkeit als Theologe weitergeführt. Allerdings hatte man in der Kirche übersehen oder unterschätzt, dass er als Professor der Theologie angefangen hatte, anstatt mit Luder mit dem eleganterem Luther zu unterschreiben. Das war eine Raffinesse, die nicht zu einem Augustiner Mönch passte und uns heute eher vermuten lässt, dass er bereits vorhatte, so bald wie möglich in die feinere Gesellschaft der Mächtigen einzusteigen. Die Gelegenheit diesen aufzufallen, gab ihm unglaublicherweise direkt der Papst, der seinen Traum von einer Auflockerung des Lebens als Geweihten zerstört hatte und nun bedacht war, den Vatikan durch die Ablassbriefe mit Entgelt zu renovieren! Er bekam sie im Spätsommer 1517 zu lesen, d.h. kurz nachdem das Konzil definitiv ins Wasser gefallen war. Daher reagierte er wahrscheinlich schon ein paar Monate später mit den 95 Thesen so aggressiv, dass er von den überzeugten Katholiken als „Luder“ beschimpft wurde. Und nicht mit Unrecht, denn seine Thesen waren kurioserweise auch gegen die Dominikaner gerichtet, die die päpstlichen Ablässe verbreiteten und somit seit 1515 ausgerechnet Friedrich den Weisen, Kurfürst von Sachsen und Gründer der Universität von Wittemberg, aufregten. Er beklagte sich nämlich über die Werbung für den Plenarablass, die sie in der Nähe seiner Landesgrenzen machten. Er sah im Ablasshandel mit Entgelt eine schädliche finanzielle Konkurrenz für seine Reliquiensammlung und Pilgerstätte in Wittenberg. Seine Sammlung war nämlich die größte der Welt und zog bestimmt viele Pilger an, die bekanntlich auf jeder Station ihrer Reise Geld ließen und auf die auch die Dominikaner zählten, um Geld für den Papst zu kassieren!

Der nächste Schritt Luthers, um definitiv vor den Mächtigen als glaubwürdiger Gegner der Kirche Roms zu erscheinen, war unausweichlich die Exkommunizierung, die ihn als Opfer der Kirche dargestellt hätte. Dabei kam ihm nicht weniger als der katholische Kaiser Karl V. zur Hilfe! Zutiefst vom für ihn unerklärlichen Verhalten Luthers irritiert, erklärte er Luther für vogelfrei, d.h schutzlos. Infolgedessen ging alles tatsächlich wie von selbst weiter: am 3. Januar 1521 war Luther ein freier, verehrter Mann, der durch die Stütze der Adligen weiterhin als religiöse Autorität auftreten durfte. Der Kaiser bereute bald die eigene Entscheidung, aber nur weil er nicht wusste, dass sie für Luther nicht maßgebend war: Er hatte 1517 zwar gegen die Ablässe wie ein Katholik gekämpft, war aber schon längst kein Katholik mehr gewesen; er hatte seine existenziellen Probleme als religiöse ausgegeben und willkürlich durch die Religion gelöst; er hatte - um so zu leben, wie er es sich wünschte - die Stütze der deutschen Adligen gesucht und die Kirche mit ihnen getauscht; und er hatte längst zuvor, als er noch als katholischer Theologieprofessor auftrat, mit einer unglaublichen List eine Doktrin und einen Gott gefertigt, die ihm und seinen Alliierten ein freizügiges Leben ohne Reue und Gewissensbisse garantierten. Dafür hatte er von Anfang an in Kauf genommen, die Einheit des Christentums aufs Spiel zu setzen und somit seinem Volk, das bis dahin nur die Religion zusammengehalten hatte, gründlich zu schaden.

 

Luthers Ära und Aura

Luther muss klar gewesen sein, dass er und seine Doktrin für die Mächtigen Nordeuropas nur der Anlass gewesen waren, um den Papst loszuwerden und die eigenen Ziele zu erreichen. Sie hätten also rapide durch die ständigen politischen Ereignisse in den Hintergrund verschwinden können. Daher musste er stets die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich richten. Dazu dienten vor allem:

  1. die Übersetzung der Bibel, die er von der Exkommunizierung bis 1534 durchführte und immer weiter verbesserte, obwohl ihm klar war, dass die wenigsten in der Bevölkerung sie lesen konnten.

  2. die Juden: Er machte allein wegen der Aussage eines gewissen Jakobs einen unglaublichen Wirbel um sie, wofür die Juden eigentlich nichts konnten. Jakob, der in der Zeit vom hlg. Paulus zum Christen wurde und in einem Brief gemeint hatte: "So ist auch der Glaube für sich allein tot, wenn er nicht Werke vorzuweisen hat." Damit hatte er sich 1500 Jahre zuvor schuldig gemacht, Luthers „Rechtfertigung durch den Glauben allein“ zu widersprechen. Dabei handelte es sich um „allgemeine Briefe“, die Jakob nicht einmal an die zu Christen gewordenen Juden, sondern an die „ Zwölf Stämme Israels, die in der Zerstreuung sind“, adressiert hatte. Luther nannte Jakobs Epistel 'Strohbrief' und griff in seinem 1543 entstandenen Buch „Von den Juden und ihren Lügen“ vehement in ein Volk ein, das nichts mehr mit Jakob zu tun hatte! Die Folge reichte bis zum 20.Jhd., als in Deutschland, Österreich und Tschechien die 'Kristallnacht' absichtlich an seinem Geburtstag stattfand. Am Nürnberger Prozess wird der Nazi Julius Streicher meinen, Luther hätte bestimmt bei ihm auf der Anklagebank gesessen, da alles so verlaufen war, wie er es gewollt hätte! Luther hatte den Juden soviel Unheil gebracht, ungeachtet davon, dass er die ganze Bibel aus der Sprache und den Erzählungen der Juden selbst übersetzt hatte und dass Jesus selbst Jude war.

Objektiv gesehen, war das ganze Theater, das Luther gegen die Juden veranstaltet hatte, gar nicht notwendig gewesen. Die Christen verfolgten die Juden bereits seit eh und je aufgrund Jesus' ungerechten Todes. Subjektiv betrachtet, könnte man eher meinen, dass ihm der Satz Jakobs in Wirklichkeit wie die Stimme des Gewissens aus der Zeit des Heiligen Paulus vorkam, dessen Lehre er einst mit Absicht missachtet hatte.

 

Luthers Nachlass

Nach den vielen Ortswechseln in bekannte Städte starb Luther 1546 unerwartet in derselben Stadt - Eisleben - wo er als Katholik geboren war und seine Wurzeln hatte, die er mehrmals im Laufe seines Lebens verleugnete. Sein Vater – den er mit seiner Verschwiegenheit zutiefst gekränkt hatte – soll ihn bereits durchschaut haben, als er die Mönchskutte anzog. Er sagte nämlich:“Gebe Gott, dass er nicht ein Betrug und teuflisch Gespenst war!“ Luther zeigte sich zwar noch Jahrzehnte später darüber entsetzt und stellte sich wie gewohnt als Opfer dar. In Wirklichkeit hatte er aber doch - wie er selber später verriet - mit dem Teufel zu tun gehabt. Daher wahrscheinlich seine Neigung zu büßen, aber nicht zu beichten, denn das katholische Sakrament der Beichte setzt die Anwesenheit eines Priesters als Vermittler zu Gott – und als Zeugen - vor. Und das war gerade etwas, was er nicht zulassen konnte: er selber wollte bestimmen, wann und wie er davon erzählen sollte. Und das geschah erst, als seine Doktrin etabliert war und es keine Zeugen mehr gab, die ihm widersprechen konnten...

Als er starb, ließ er durch all seine Intrigen ein Volk zurück, das seit 1521 nicht nur in der Sprache, sondern auch in der Religion getrennt war. Die Mehrheit der Bevölkerung, die Leibeigenen, mussten nämlich als solche die Religion ihres Herrn annehmen. Somit waren sich die Deutschen nicht einmal mehr in dem Glauben einig, und waren daher nicht mehr in der Lage, sich gegen die Angriffe der Ideologien der nächsten Jahrhunderte - Illuminismus, Nazismus und Kommunismus – zu wehren. Und das war zweifellos schlimmer als die Ablässe mit Entgelt!

Die Katholiken blieben in Deutschland vier Jahrhunderte lang in der Minderheit, da die meisten von ihnen, um der protestantischen Gewalt zu entfliehen, nach Amerika ausgewandert waren. Ihre Nachfolger kamen erst nach dem zweiten Weltkrieg zurück und mussten oft neue Kirchen bauen, da die ihrigen von den Protestanten beschlagnahmt worden waren.

Das war das vorhersagbare Ergebnis eines Vorgehens, das nicht der Optimierung des christlichen Glaubens, sondern ausschließlich des Lebens Luthers diente. Das erklärt das Tempo und die Aggressivität, in der sich alles abspielte, und führt vor allem zu der Überlegung von Papst Benedikt XVI., der 2008 erklärte: “Die Welt ist dank der Geduld Gottes gerettet und von der Ungeduld der Menschen zerstört”.


 

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