Die Ritter von Neipperg:



In Mailand, am Giebel des Friedensbogens ('Arco della Pace') des 'Castello Sforzesco', kann man das Basrelief bewundern, das den Eintritt der österreichischen Truppen in die Stadt im Jahre 1815 darstellt. Es ist der Zeitpunkt des Triumphes, denn es wird die post-napoleonische Restauration gefeiert: Zuerst erscheinen Soldaten mit Beilen auf den Schultern; ihnen folgen Tubaspieler und ein kleines 'Genio' mit dem Symbol der Kraft. Oben schwebt der Ruhm mit ausgebreiteten Flügeln. Zuletzt, von Soldaten mit Lanzen, Trophäen und Flaggen begleitet, erscheint der General der österreichischen Truppen: er ist der deutsche Graf Adam Albert von Neipperg, Herr von Schwaigern. Es ist eine traurige Zeit für Mailand und für die Völker Europas. Für Österreich tritt hingegen die ersehnte Normalität nach der 'napoleonischen Pause' ein. Für den Graf Adam Albert - der dort als Symbol des habsburgischen Triumphs erscheint - hatte allerdings all das eine ganz andere Bedeutung: Es war die Garantie, die er absolut brauchte, um das Überleben der Dynastie und der Burg seines Neippergs zu sichern.

  

Neipperg

Über den Ursprung des Namens, der Burg und der ersten Bewohner des heutigen, zwischen Neckar, Zaber und Lein gelegenen Dorfes Neipperg ist absolut nichts bekannt.
Die einzige Verbindung kann eigentlich durch den NAMEN Neipperg hergestellt werden, der sich eindeutig aus den Grundsilben der Originalsprache der Germanen, - NEID und PERG – zusammensetzt: NEID steht für 'niedrig' und 'PERG' für Berg. Ein "niedriger Berg" also, der als Berg denjenigen, die sich dort aufhielten, die Sicherheit gab, nicht plötzlich vom Feind überrascht zu werden; und als niedrig die Möglichkeit gab, auch bei Angriffen schnell bis ins Tal reiten zu können. Zudem vermittelt das "NEID" die Idee von einem "sich niederlassen", also einem sanften "Wurzeln schlagen" nach den großen Migrationen.
Nun, wenn man bedenkt, dass die ersten Besetzer der römischen Gebiete westlich des südlichen Limes die ALEMANNEN (256 n.Chr. - 496 n Chr.) waren, kann man annehmen, dass ein alemannischer Fürst diesen Hügel in einem Gebiet zwischen Mittelrhein und Mittelneckar, das bereits von den Römern besonders geschätzt wurde, als seinen Sitz gewählt haben könnte. Davon zeugen sowohl die alemannischen Überreste, die auf dem Rosenberg in Heilbronn am rechten Neckarufer, als auch die wertvollen Metallarbeiten, die auf dem alemannischen Friedhof in Heilbronn-Böckingen am gegenüberliegenden Ufer gefunden wurden.


Die Burg von Neipperg.
Von außen sieht die Burg wie ein übliches Dorf mit zwei Türmen aus.
In Wirklichkeit handelt es sich um zwei an Struktur, Bauart, Zweck und Alter sehr unterschiedliche Realitäten. Und erst wenn man das kennt, scheint jeder Turm für sich selbst das Recht zu beanspruchen, bewundert und geschätzt zu werden, denn jeder steht immer noch da als Zeuge und Lichtturm einer Gescichte, die im Dunkel geblieben ist, wie immer, wenn der Mensch - abgelenkt von den Wechselfällen des Lebens - nur der Handarbeit und nicht der Feder die Aufgabe überlässt, der Nachwelt seinen Übergang zu vermitteln.
Aber Neippergs Türme sind mehr als nur Konstruktionen, denn sie erscheinen sofort als das Ergebnis einer geistreichen Politik und einer raffinierten Kunst, die sie gleichzeitig vereint und klar voneinander unterscheidet. Und genau das hilft uns, die Geschichte dieser Burg zu erforschen, die sicherlich nie "einheitlich" und eindeutig war.

Der Bergfried 

Der älteste Turm befindet sich auf der westlichen Seite des Plateaus, die auch die niedrigere ist. Nach einem Gemälde im Brackenheimer Forstbuch von 1684 kann man erkennen, dass er sich nicht am Rande sondern innerhalb eines Dorfes befand, das von einer Mauer umgeben war, entlang der sich Gebäude befanden, die zu Wohn- und Arbeitszwecken genutzt wurden, wie der Stall, die Schmiede, der Ofen, die Molkerei, das Lagerhaus, die Textilfabrik und so weiter. Der westliche Turm von Neipperg ist nämlich ein Bergfried, der erst im 11. Jh. - also mindestens sechs Jahrhunderte nach der Ankunft der ersten Germanen - in das bereits bestehende Dorf eingefügt wurde. Der Bergfried bot allerdings - mit dem zehn Meter hohen Eingang an der Südostwand und dem Abtritt im Nordosten, einer Grundfläche von etwa 72 Quadratmetern (9m x 7,90m) bei einer Höhe von über 20 m und einer Wandstärke von 2,50m - nur ein Dutzend Quadratmeter pro Stockwerk und daher, auch wegen der geringen Lichtabfall, Bewohnbarkeit für eine einzige Person an, die womöglich der Dorfherr war. Somit hatte er nicht nur die Kontrolle über das herumstehende Gebiet, sondern auch die Visibilität, wonach in der zweiten Hälfte des 11.Jhs. auch der Hochadel – im Streit mit dem Kaiser – strebte. Das war aber nur möglich, wenn der Dorfherr bereits zu dem RITTERTUM gehörte, der in der ersten Hälfte des Jahrhunderts gebildet worden war.

Das Rittertum

Bis dahin gab es eigentlich nur die Ritanden oder Reitmänner, d.h. die Adligen zu Pferd, die als Nachkommen des Odals, dem Erbe der Väter, Waffen und Pferde besitzen und benutzen durften. Das "Rittertum" kam erst Im Stande, als Kaiser Konrad II. (1027-'39) eine epochale Entscheidung gegen den Adel und zugunsten der von ihm gewählten "Unfreien", traf, die sich bis dahin als ehrlich und loyal erwiesen hatten. Ihnen übergab er nämlich Kontrolle und Verwaltung von Territorien ("Vogten"), Justiz, Verteidigung und Finanzen, die bis dahin Sache der Aristokraten gewesen war, und nannte sie "ministeriales regni", Diener der Krone. Wenn der Schritt des Kaisers eine echte Tragödie für den germanischen Adel war, wurde er hingegen für diejenigen, die als nicht-frei geboren wurden, zu einer unerhofften, einmaligen Chance.
Vor allem die Ritter zeigten ihre Dankbarkeit bis hin zum Verzicht für ihren Fürsten auf ihr Leben. Sie konnten auf dem Feld eine so großzügige Kampflust zeigen, dass sie bald die Massen inspirierten und die Phantasie der damaligen Dichter beflügelten. Und tatsächlich benutzten sie ab 1060 immer häufiger das Wort "Ritter": 28 Mal zwischen 1060 und 1150, also unmittelbar nach dem Zweiten Kreuzzug, an dem die Deutschen mit Konrad III. ebenfalls zum ersten Mal teilnahmen; 150 Mal zwischen 1150 und 1180, zur Zeit Barbarossas; und über 6000 Mal in den folgenden 70 Jahren, bis 1250! Der Ruhm der Ritter wuchs so schnell, dass die Adligen selbst den Wunsch bekamen, Teil davon zu sein und so genannt zu werden. Schon die alten Dynastien, die wichtige Machtbefugnisse verloren hatten und glaubten, dass die Minister verräterische Wesen seien, die Karriere machen und durch die Heirat ihrer Töchter adlig werden wollten, begannen bereits im 11. Jh über die Möglichkeit nachzudenken, selbst Ritter für sich zu gewinnen. Und was gab es Besseres, als sie dem Kaiser wegzunehmen, die er zur Stärkung der Krone angeheuert hatte, die aber größtenteils auf den Gütern der Adligen, seiner Feinde, lebten und ihm nicht ohne Weiteres zur Verfügung stehen durften?

Das KRAICHGAU, wo die Ritter von Neipperg ihre Burg erhielten, wurde das Rittergebiet schlechthin: In diesem Verwaltungsdistrikt der Karolinger (8.Jh) - das sich von Mannheim bis Heilbronn, bzw. vom Rhein bis zum mittleren Neckar streckte - war die Abhängigkeit der Adligen von den Rittern noch stärker. Deren Herrschaften befanden sich nämlich nicht innerhalb sondern außerhalb des Kraichgaus, so dass dies wie kaum ein anderes „im Interessenbereich mehrerer fürstlichen Territorien“lag, wie es Lotte Kurras feststellte. Deshalb waren besonders zuverlässige und selbstständige Verwalter gefragt, die sehr frei zu handeln waren. Das war schon im Laufe des 12. Jhs nicht mehr möglich: Vor allem mit dem Barbarossa, der 1155 vor allem dank den Rittern Kaiser wurde, die er allerdings massenhaft ernannt und kaum persönlich gekannt hatte.

Die Karriere der Ritter

Bereits in der zweiten Hälfte des 11.Jhs hatten die besten Ritter aber auch wachsamsten Ritter eine unerhoffte Karriere gemacht, denn ihnen wurde eine RITTERBURG, die die Ritter sofort ihren Kindern vererbten, zugewiesen. Zudem übernahmen sie wie die Adligen den Namen des Hügels, auf dem sich ihre Burg befand, und stellten sie ihm ein "von" voran: Somit durften sie aus der Anonymität herausgehen, so wie sie sich durch den VERWALTUNGSTURM (Bergfried) von der Masse ihrer Untertanen erhoben hatten. Und die Aristokratie - angesichts der schwierigen Zeiten, die sie durchmachte, und des Bedarfs an Unterstützung durch vertrauenswürdige und kämpferische Ritter - konnte und wollte sie nicht aufhalten. Im Gegenteil, da sie wussten, dass ihre treuen Ritter bei ihrem Tod von anderen Herren abhängen würden, sagten ihnen das WAPPEN zu, damit sie selbstständig in den Kampf für einen Adligen aus ihrer Wahl antreten durfte, ohne sich festlegen zu müssen.
So sehen wir tatsächlich die Ritter von Neipperg im Jahr 1080 im Augsburger Turnier
(vom 'Gemminger Buch' im 16.Jh. überliefert) mit dem Wappen, - das heute noch gilt – das drei goldene Ringe in 'zwei zu eins' auf rotem Grund trägt.

Der Ring

Nach W. Grönbech wurde die sogenannte 'Bauge' „... ganz oder geteilt – als Siegespreis, als Geschenk, als Honorar gegeben, in Schätzen aufgespeichert, als Tribut und Strafgeld gezahlt.“ Es handelte sich womöglich um einen Armring, wie die 356 alemannischen Ringe aus Bronze aus dem IV-III Jh. v.Ch., die man im dänischen Smederup fand. Wer vom König einen Ring oder auch nur einen Teil davon erhielt, der distinguierte sich automatisch von der Masse der Krieger, er wurde 'vornehm'. Der symbolische Wert, den man dem Ring zutrag, wird aber am Besten von dem Gefühl erklärt, das jene ansonsten an alle Schwierigkeiten gewöhnte Männer übermannte, als sie ihn in der Königshalle direkt vom König empfingen. Denn so beschrieb W.Grönbech jene Empfindungen: „ In dem Augenblick, wo ein Mann den Ring seines Herrn an seinem Arm oder seine Waffe in seiner Hand fühlt, durchströmen des Königs Ehre, seine Vorfahren, seine Ziele, sein Stolz den Arm des Empfängers; gleich fühlt und erlebt er den Inhalt des Rings. Er wird wieder geboren, wie man es in alten Zeiten werden konnte, und die Verbindung mit dem Geber wird sowohl in den Bedingungen des Lebens alswie in den Gedanken vollzogen...“ Es sind zweifellos ergreifende Momenten, die man heute noch mitfühlen kann, und die uns verständlich machen, wieso der Ring immer noch im hohen Mittelalter als Symbol für das Königliche und für die königliche Anerkennung stand. „Der König ist der, der Ringe verteilt, und die Halle ist der Ort, wo er durch Geschenke und Gastfreiheit die Männer an sich bindet“: Er wird „...Ringbrecher, Schatzverschwender oder Kampfförderer, Wölfeätzer genannt; die Männer sind Biertrinker, Ringempfänger und Brünnenträger – und brünnenbekleidet sind sie, ob sie gerade in Rüstung sind oder nicht.

Zudem erklärte Maurice Keen in seinem 'Das Rittertum': „Wappen konnten auch dazu verwendet werden, an einen geschichtlichen Hergang oder an eine Episode darin zu erinnern.“ Eine solche Episode, die in der ersten Hälfte des 11.Jhs eng mit einer königlichen Ring zu tun hatte, fand tatsächlich 1057 statt, als das Rittertum der ersten Generation bereits etabliert war und mit Wappen gepriesen zu werden anfing. In jenem Jahr geriet nämlich einer der mächtigsten Adligen Deutschlands - Berthold II. von Zähringen - mit der französischen Witwe vom Kaiser Heinrich III. in Streit, weil sie nicht erkennen wollte, dass Berthold II. das Vorrecht hatte, das ersehnte Herzogtum Schwaben zu bekommen, obwohl er im Besitz des Ringes des verstorbenen Kaisers war, der ihm damit das Herzogtum versprochen hatte. Die meisten Adligen Süddeutschlands hielten damals zu den Zähringern, die genau ein Jahrhundert später - 1157 - die Stadt Freiburg in Uechtland gründen werden, in dessen Wappen sie auf merkwürdiger Weise einen Ring einführten, aus dem die neue Stadt wie das unbesiegte Phönix aus der Asche herausragte. Es kann also durchaus sein, dass selbst die Ritter, die zu jenem Zeitpunkt mit einem eigenen Wappen beglückt wurden, den kaiserlichen Ring als Symbol übernahmen, weil sie ihn als Verbindung zum Kaiser und somit als zusätzliche Legitimation ansahen, veredelt zu werden. Die Anzahl der Ringe – die drei waren – sollten nach der Haraldik zum Ausdruck bringen, dass der Gründer der Dynastie in einer bestimmten Beziehung zu einem bestimmten Ring stand: einem, der damals soviel Macht ausstrahlte wie heute Geschichte und in seiner Vornehmheit zusätzliche Legitimität verleihen konnte. Die Ritter von Neipperg waren nicht die einzigen, die den Ring als Symbol übernahmen: Wenn auch mit unterschiedlichen Stellungen, erschienen sie auch auf den Wappen:

1. sowohl im Kraichgau, nördlich von Neipperg:

      • der Verwaltungsgrafen von Böckingen bei Heilbronn am Neckar, die im Dienste der mit den Zähringern eng befreundeten Prinzen von Calw waren - und wie die Ritter von Neipperg ein Wappen mit drei Ringen in Stellung 'zwei zu eins' besaßen;

      • der Ritter von Berwangen - im Dienste sowohl der Herren von Weiler, die wie die Calwer Grundbesitzer in Böckingen waren; als auch der Bertholde vom (M)Ortenau und Ufenau (Baden) - deren Wappen die drei Ringe 'rechtsschräg' enthielt;

      • die Ritter von Fürfeld, deren Ringe konzentrisch waren;

2. als auch in der damals germanischen     

    Toskana:

    • die Cerchi von Acone

    • die Velluti von Prato,

    • Pèrgine in Valdarno,

In Neipperg findet man das Familienwappen in seiner ältesten Form am Eingangsportal des WOHNTURMS, dem östlichen und 'jüngeren' Turm des Plateaus von Neipperg

Der Wohnturm von Neipperg

Das Turmhaus in Neipperg - mit einer Grundfläche von 9,95 mal 9,75 m und einer durchschnittlichen Wandstärke von rund 1,95 m - bot zwar auf jedem Stockwerk eine Wohnfläche von rund 36 qm, also zwei Drittel mehr als der Verwaltungsturm (Bergfried), entsprach aber nicht den Sicherheitsstandards eines Wohnturms: Sogar der Eingang - eine gewölbte, offene Tür mit dem Familienwappen im Flachrelief - wollte mehr repräsentativ als schützend sein.
Und wenn wir bedenken, dass erst im Jahre 1302 damit begonnen wurde,
herum Gebäude zu bauen, dann können wir definitiv ableiten, dass es dort über ein Jahrhundert lang nicht möglich war, Adlige unterzubringen, die in dem schönen Wald auf die Jagd gehen wollten. Das war wirklich schade, denn der Turmhaus erscheint als ein bis ins Detail geplantes und besonders gepflegtes Architekturwerk und war daher sofort hochrangiger Besuche wert. Dies ist zumindest der Eindruck, den man sowohl durch die kunstvoll geschliffenen Steine ("Quader") als auch die fein verzierten, nach Westen gerichteten Fenster mit Pfosten, die den durch den weißen und zerbrechlichen romanischen Kamin veredelten "Rittersaal" erhellen, gewinnt. Andererseits scheint gerade das auf die ruhmreiche Vergangenheit der Herren von Neipperg und auf ihre weitsichtige Politik hinweisen zu wollen.

Aber warum sich so viel Mühe geben, wo doch selbst der Adel aus seinen Hochburgen herabgestiegen ist, um am nun blühenden Stadtleben teilzuhaben?

Bei genauerem Hinsehen gibt es drei Botschaften, die von diesem Turm ausgehen:

  1. der Mangel an Sicherheit sagt uns, dass es nie als ein Ort gedacht war, an dem Adlige oder sogar Herrscher untergebracht werden sollten, die sich an diesem bewaldeten und gut gepflegten Ort der Jagd hätten sich widmen wollen;

  2. die Liebe zum Detail sagt uns, dass sein Bau echten Künstlern anvertraut wurde, die für ihre besonderen und sogar innovativen Fähigkeiten schwer zu bezahlen, aber auch zu finden sein mussten;

  3. die Höhe verrät uns, dass sie auf die erste Hälfte des 13. Jhs. zurückgeht, als der Turm archäologisch datiert wurde, denn seine 26 Meter entsprechen den 30 Armen, die das mächtige toskanische Bürgertum - in Volterra 1207 und Florenz 1250 - in eben diesen Jahrzehnten auferlegte, um zu verhindern, dass die Adligen ihr Staus mit bis zu 50 Meter hohen Türmen vorzeigten! Und da dies kein Zufall sein kann, kann man davon ausgehen, dass die Herren von Neipperg mit den von der oberen Mittelschicht gewünschten Veränderungen einverstanden waren: Schließlich war es die andere soziale Schicht, das Bürgertum, die sich im 11.Jh. parallel zum Rittertum gebildet hatte, als die unfreien Männer der Leibeigenschaft , den Streit der Adeligen mit dem Kaiser nützend, in die verlassenen Städte geflohen waren und sie mit ihrer Arbeit reich und mächtig gemacht hatten!

Insgesamt hat man definitiv den Eindruck, dass das Turmhaus von Neipperg nicht aus logistischen Gründen entstanden ist, sondern aus einem außergewöhnlichen Ereignis, das zum Bau eines Gebäudes führte, das nicht als Turmhaus sondern als repräsentatives und sichtbares Werk wirken sollte werden sollte, so wie die Hochburgen der Adligen zur Zeit Konrads II.!

Dabei stellt sich allerdings die Frage: In Anbetracht der Tatsache, dass die Ritter von Neipperg stets wirtschaftliche Probleme hatten und deshalb erst im 19.Jh. Ein repräsentatives Schloss in Schwaigern bauen konnten, wer und warum hätte ein solches Unternehmen im ersten Viertel des 13. Jhs. bestellen wollen und finanzieren können?

Die Geschichte kommt uns wieder zur Hilfe, denn gleich zu Beginn des 13.Jhs beschäftigten sich im nicht von Neipperg weit entfernten Zisterzienserkloster Maulbronns die berühmten Bildhauer der "Übergangskunst" Laons, die den romanisch-benediktinischen Stil mit dem innovativen gotischen Stil Nordeuropas zu verbinden wussten. Um 1210 wurde von ihnen der Südflügel des 'Kreuzes', die beiden Speisesäle, sowie die neue Kirche mit dem Eingang - das sogenannte 'Paradies' - wo sich Pilger, Büßer und Flüchtlinge versammelten, erbaut. Es handelt sich um einen architektonischen Komplex, der 1993 aufgrund seines besonderen Stils von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Dass diese Künstler, wie auch Meister Bohnensack, von den Maulbronner Zisterziensern angeheuert wurden, war nichts Ungewöhnliches, da der Gründervater einer der mächtigsten Familien Frankreichs angehörte und sie praktisch auch in Osteuropa zu den Architekten der Zisterzienserkloster geworden waren, so dass ihre Arbeit auch als "sakrale Kunst" bezeichnet wurde.

Johannes von Neipperg

Für uns ist es jedoch interessanter zu verstehen, wieso sie in den folgenden zehn Jahren auf der Hochebene Neippergs kamen, um eines ihrer sehr seltenen nicht-sakralen Gebäude zu erschaffen! Soviel Zeit benötigte nämlich bestimmt der Bau des Turmhauses.

Eine mögliche Erklärung kann das Schicksal des Johannes von Neipperg abgeben, der gerade Abt von Maulbronn in der Zeit war, als dort die Künstler von Laon tätig waren! 1212, als praktisch die Arbeiten so gut wie zu Ende waren, wurde er im nahen Weissach ermordet. Es geschah da, wo sich die Kirche befindet, die 1150 Graf Egino von Vaihingen an der Enz der Mulbronner Abtei gestiftet hatte.

An der Straße entlang der Kirche kann man heute noch das Steinkreuz (ABTSTEIN) sehen, wo neben einem Bischofsstab ein Datum - 1212 - und die Initialen Maulbronns - MB - eingemeißelt wurden. Dieses Kreuz und die seit Generationen mündlich überlieferte Geschichte der Ermordung des Abtes von Maulbronn, Johannes von Neipperg, veranlasste sowohl das Oberamt Vaihingen als auch die katholische Kirche von Weissach im 16.Jh. - an die Wende zur modernen Zeit - jenes Stück mittelalterlichen Geschichte der Region festzuhalten, das sonst verloren gegangen wäre. So konnte im selben Jahrhundert wie im Fall des Turniers von Augsburg ("Gemminger Buch") ein weiteres Stück der Geschichte der Ritter von Neipperg gerettet werden, das sonst verloren gegangen wäre. Im Bericht des damaligen 'Hohen Amtes' von Vaihingen heißt es: "...an dessen Stelle nach der Volkssage ein für vogelfrei erklärter Abt, Johannes von Maulbronn, von den Weissachern im Jahre 1212 erschlagen wurde, welcher Begebenheit auch das Kirchenbuch von 1511 Erwähnung tut". So wird - dank dem "an wessen Stelle" - verstanden, dass das Kreuz genau dort angebracht wurde, wo Abt Johannes getötet wurde.

Aber der Abtstein ist nicht der einzige stumme Zeuge dieses Ereignisses. Aufgrund seiner edlen Stellung und seines Status innerhalb der Abtei hatte der adlige Abt bei schweren Verstößen Anspruch auf eine Entschädigung, die so genannten "ABTSGULDEN".

Die Bedeutung des Vergehens war jedoch eine andere als die heutige, denn es betraf das Vorrecht der Sippe, sich auf die eigenen Mitglieder zu 'rächen', wenn es das Mitglied einer anderen Sippe gekränkt oder gar verletzt bzw. getötet hatte. Am Anfang des 13.Jhs war diese alte germanische Sitte vermutlich schon in Dekadenz, aber nicht im tiefen Kraichgau, wo der niedrige Adel auf keinen Fall auf die schwer gewonnene Achtung verzichten wollte, die die prinzipien des Odals sicherten. Infolgedessen war RECHT DER SIPPE, das heißt des Hauses Neipperg, Johannes zu bestrafen: niemand sonst durfte es tun. Der Beleidigte erwartete die 'RACHE', aber durfte sie nicht persönlich durchführen: Er musste sie der Familie der Beschuldigten - die selbst von ihrem Mitglied in Schwierigkeiten gebracht wurde - überlassen, sie vertrauen. Hätte das Vergehen einen Fürsten getroffen, hätte man die "Rache" bis zum Äußersten treiben können, d.h. bis zum Ausschluss aus der Sippe, sodass der Beschuldigte "Vogelfrei" wurde. Diese Strafe hieß 'morte dalla propria gente' ('Sippentod') und war für die Germanen schlimmer als der körperliche Tod: Die Römer selbst mussten erleben, wie die gefangenen Germanen lieber starben, als getrennt von ihrer 'Sippe' zu leben.

Aber wenn es so war, warum hat man Johannes getötet und nicht ihn einfach als vogelfrei gehen lassen?

Wahrscheinlich, weil das adlige Vorrecht zu Beginn des 13.Jhs nicht mehr üblich war und die Weissacher zu spät und vielleicht von Johannes selbst erfuhren, dass sie sich angesichts des alten Gesetzes der "Rache" schuldig gemacht hatten: seine Sippe war nicht der Zisterzienserorden, sondern immer noch das Haus Neipperg! Eigentlich hätte ihre Tat - bis zum Mord - nur eine Farce sein können, um nicht den Mann, sondern den Abt Johannes zu beseitigen, dessen einzige Schuld vermutlich war, die Stelle in Maulbronn zu besetzen, die die Weissacher gerne einem anderen, sehr mächtigen Prälaten, mit dem Johannes einen langwierigen Streit hatte, zur Verfügung stellen wollten. Es wurde also kurzfristig beschlossen, Johannes ganz zu eliminieren, um die Misstat zu vertuschen. Und das wäre ihnen tatsächlich auch gelungen, wenn einerseits die Leute nicht über Generationen davon berichtet hätten, und zwar bis es letztendlich im 16. Jh in den amtlichen Aufzeichnungen festgehalten wurde; und andererseits die Weissacher nicht die Schande mit einer Entschädigung 'sine die' (Abtsgulden) hätten bezahlen müssen.
Sechs Jahrhunderte später - 1819 - wurden allerdings ausgerechnet mit dem Abtsgulden die Dynastie und die Burg von Neipperg gerettet. Und so trug auch Johannes, wenn auch indirekt, mit seinem Opfer dazu bei, Neipperg in den Händen seiner Familie zu bewahren - wie alle Familienmitglieder, Erben und Nicht-Erben, über Jahrhunderte hinweg stets machten.

Die Mönche von Maulbronn

In diesem Zusammenhang kommt man nicht umhin, die Reaktion der mythischen Zisterziensermönche von Maulbronn zu berücksichtigen. Und zwar zum einen, weil der Abt ihres Klosters - das 1147 von Bernard de Clairveaux gegründet und von den Mönchen selbst, den "Armen Christi", aufgezogen wurde – ausgerechnet getötet worden war, als die berühmten Künstler von Laon die Fertigstellung der Abtei vollendet hatten; zum anderen weil sie bestimmt darüber im Klare waren, dass die Weissach auferlegten Abtsgulden allein den Verlust und die Kränkung, die das Haus Neipperg zu erleiden hatte, in keiner Weise wiedergutmachen konnten. Heute würde man von "Imageverlust" sprechen, der immer noch den Verursachern sehr teuer werden kann.
Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass die Mönche, als Träger des Klosters und der Weissacher Kirche, von der Anwesenheit der Künstler von Laon profitierten, um die Ehre des Hauses Neipperg so SICHTBAR. Und so passierte, dass in einer Zeit, als der Bau von Türmen und Burgen nicht mehr üblich war, der Wohnturm von Neipperg auf der höheren Stelle vom Plateau und nach den modernsten Bestimmungen errichtet wurde.


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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